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DasbestgehüteteGeheimnisdesThurgaus
Was im Rechenzentrum von Swift in Diessenhofen alles vor sich geht, darüber kann selbst der Kanton nur spekulieren.
Aylin Erol
Am Wochenende wurde der
Ausschluss Russlands aus dem
Finanzsystem Swift beschlos-
sen. Ein Entscheid, der Einfluss
bis in denThurgau haben könn-
te – zumindest wenn man be-
denkt,dass sichinDiessenhofen
einer der wenigen weltweiten
Standorte des Finanzdienstleis-
ters befindet.
Ein Mediensprecher von
Swift möchte sich allerdings
nicht über allfällige Folgen für
das Thurgauer Rechenzentrum
äussern. Swift will ein Geheim-
nis bleiben–wie auch in derVer-
gangenheit schon, seitdem der
Standortim Thurgau überhaupt
eröffnet wurde.
Esmusste ein weiterer
Standorther
Angefangen hat alles 2007.
Swift hatte sich darangemacht,
einen weiteren Standortfür sei-
ne Rechenzentren in Europa zu
suchen – dies aufgrund von
Datenschutzdiskussionen. Es
sollte inZukunft verhindertwer-
den, dass die USA automatisch
auf europäische Bankdaten zu-
greifen können.
In ganz Europa und der
Schweiz wurden verschiedene
Standorte von der Organisation
evaluiert – so auch Diessenho-
fen. Die Behörden der Gemein-
de begleiteten den damaligen
Prozess ab 2008 aktiv. «Es gab
einen grossenAnforderungska-
talog, der erfüllt sein musste»,
heisst es seitens der Gemeinde
Diessenhofen. Als Beispiele
könnten etwa acht Hektaren
verfügbares Industrieland und
beste Anknüpfung an das über-
geordnete Datennetz genannt
werden. «Und schlussendlich
hat Diessenhofen die Anforde-
rungskriterien am besten er-
füllt.»
So teilte Swift im Sommer
2010 mit, dass man sich für
Diessenhofen als weiteren
Standortfür einRechenzentrum
entschieden habe. Als zentraler
Grund für diese Entscheidung
wurde die vorhandene techni-
sche Infrastruktur genannt.
WieGuantánamo
sehe es aus
Im Herbst 2010 begannen
schliesslich dieBauarbeiten des
50-Millionen-Gebäudes. 2013
wurde es fertiggestellt.Die ope-
rativenTätigkeiten desRechen-
zentrums hätten aber bereits
2012 begonnen, weiss man in
der Gemeinde Diessenhofen,
wo man sich darüber freute,
vomwichtigsteninternationalen
Finanzdienstleister als Standort
ausgewählt worden zu sein.
«Swift bringt man in Verbin-
dung mit Sicherheit und Zuver-
lässigkeit. Solche Schlagwörter
habenEinfluss auf eine positive
Reputation der Standortge-
meinde», sagt die Gemeinde
Diessenhofen.
Während sich die Behörden
über das Prestige freuten, spot-
tete man indes in Diessenhofen
hinter vorgehaltenerHand über
das Gebäude. Wie ein Knast
sehe es aus. Das Guantánamo
vonDiessenhofen sei es mit sei-
nemStacheldraht, denÜberwa-
chungskameras, den Zäunen
und den hohen Mauern.
Ungewisse Vorteile
fürdenThurgau
Hinzu kommt, dass ungewiss
ist,wie sehrderKantonThurgau
oder gardieGemeinde vonSwift
profitieren können. Denn:
«Volkswirtschaftlich ist die Ge-
nossenschaft für den Kanton
nicht besonders relevant», sagt
Daniel Wessner, Leiter des
Thurgauer Amts für Wirtschaft
und Arbeit. Und: «Der Kanton
profitiert abgesehen von derRe-
putation hauptsächlich von den
teilweise hier wohnhaften und
steuerpflichtigen Mitarbeiten-
den.»
Diese sollen gemäss denAn-
gaben von Swift im Jahr 2010
hoch professionalisierte Fach-
kräfte sein. Von über zwanzig
Mitarbeiterinnen undMitarbei-
terwar beiderBauplanung 2010
dieRede.Wie viele es heute tat-
sächlich sind, ist ungewiss. Bei
der Swift-Medienstelle in Bel-
gien wollte sich ein Sprecher
ebenso wenig über die Zahl der
Mitarbeitenden in Diessenho-
fen äussern wie über allfällige
Folgen für das Rechenzentrum
durchdenAusschluss russischer
Banken aus dem System.
Geheimniskrämerische
Swift
In der Gemeinde Diessenhofen
geht man von gut zwei Dutzend
Mitarbeitenden aus – und ist da-
mit sogar besserim Bilde als der
Kanton. «Über jede andere Fir-
ma imThurgauweiss ichmehr»,
sagt Wessner. Aufgrund des
Baugesuchs sei bekannt, dass
das Gebäude hauptsächlich
unterirdisch bestehe. «Es hat
sieben Stockwerke, wobei nur
zwei davon oberirdisch verlau-
fen», sagtWessner.Mehr könne
er über Swift nicht sagen. Selbst
die kantonalen Behörden durf-
ten noch nie einen Fuss ins Ge-
bäude setzen. Wessner sagt:
«Swiftistwohl das bestgehütete
Geheimnis des Thurgaus.»
Das liege schlicht und er-
greifend daran, dass die Sicher-
heitsvorgaben derOrganisation
aus nachvollziehbaren Gründen
enorm hoch seien. Über eine di-
rekte, offizielleAnsprechperson
verfüge man ebenfalls nicht.Al-
les muss über die offiziellen
Stellen in Belgien geregelt wer-
den.
Nur Spekulationen
sindmöglich
DieOrganisation lässt sich auch
nach fast zehn Jahren, in denen
es dasDatenverarbeitungszent-
rum für Finanztransaktionen in
Diessenhofen nun schon be-
treibt, nicht in die Karten bli-
cken – nicht einmal von der Ge-
meindeDiessenhofen oderdem
Kanton. Was bleibt, sind nur
Spekulationen.
So etwa jene des Historikers
und Journalisten Stefan Keller,
der sich 2020 mit seinem Buch
«Spuren der Arbeit» in einem
Kapitel Swift widmete. Er
schrieb:«Vielleicht nicht zuletzt
dank des hohen Energiekon-
sums von Swift, der durch meh-
rere Leitungen abgesichert ist,
kann dieGemeindeDiessenho-
feneinen derniedrigstenStrom-
tarifeder ganzenSchweiz anbie-
ten.»
Auf Nachfrage bei der Ge-
meinde Diessenhofen heisst es
entgegen dieser These jedoch:
«Swift selber bezieht im Ver-
hältnis zur restlichen Industrie
in Diessenhofen eine relativ ge-
ringe Strommenge. Daher hat
dies keinenEinfluss aufdenVer-
brauch und auch nicht auf das
Tarifsystem.» Über Swift in
Diessenhofen bleiben damit
wieder mehr Fragen offen, a
1 maart 2022
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